Die Masern: Faktencheck zur Impfung
Hintergrund:Medizin
Für Sie aufgespürt und zusammengefasst von Dr. Marcus Mau.
Das erklärte Ziel der
deutschen Behörden war es, die Masern bis 2015 bei uns auszurotten. Der jüngste
Ausbruch der Infektionskrankheit in Berlin zeigt leider sehr eindrucksvoll, wie
weit wir von diesem Ziel entfernt sind. Sind die lauter werdenden Forderungen
nach einer Impfpflicht tatsächlich verständlich und notwendig? Lassen sich nur
so ähnliche Ausbrüche zukünftig verhindern?
Masernparties und einige Eltern, die weder sich selbst, noch
ihre Kinder impfen lassen wollen. Das ist keine Utopie, sondern die reale
Situation in Deutschland im Jahr 2015. Noch immer halten sich hartnäckig Anschauungen,
die in der Impfung die Wurzel allen Übels vermuten. Dies zu Recht? Wohl kaum –
aber der Reihe nach:
Seit wann gibt es
Impfungen?
Seit wann es Impfungen gibt, ist nicht auf Tag und Jahr
genau einzugrenzen. Dennoch beginnt die Geschichte des Impfens vor etwa 2.500
Jahren. Seit jeher beschäftigte die Menschen, wie man Krankheiten verhindern
könnte. Die über Jahrtausende schlimmste Geißel der Menschheit war die
Pockenerkrankung. Daher verwundert es kaum, dass die Geschichte des Impfens
eigentlich die Geschichte der Ausrottung der Pocken ist. Doch was ist dieses
sogenannte Impfen eigentlich? Was bedeutet es?
Die Geschichte des
Impfens
Kaum ein anderes Feld der Medizin wird so heiß diskutiert
wie der Nutzen und die Gefahren des Impfens. Wie auch immer jeder Einzelne dazu
stehen mag, die Impfung hat in der Mehrzahl der Fälle ihr Ziel erreicht - nämlich
Menschen vor gefährlichen und oft tödlichen Infektionen zu schützen.
Die Impfgeschichte beginnt wohl in Griechenland vor mehr als
2.500 Jahren. Griechischen Ärzten fiel auf, dass Menschen, die eine
Pockenerkrankung überlebt hatten, nicht erneut an den Pocken erkranken konnten.
Etwa zur gleichen Zeit bis um 1.000 vor Christus begannen die Chinesen,
Menschen mit getrockneten Pockenpusteln zu infizieren. Sie nutzten
pulverisierten Schorf von Pockenkranken und ritzten diesen leicht in die Haut
von Gesunden. Überlebten die so „geimpften“ Kinder, waren sie fortan gegen die
Krankheit geschützt. Die frühen „Impfärzte“ infizierten demnach absichtlich
gesunde Menschen, um eine Immunität zu erzeugen. Heute spricht man in einem
solchen Fall von natürlicher Immunisierung. Das ist zum Beispiel auch das
Prinzip der sogenannten „Masernparties“. Eine auf natürlichem Weg erfolgte
Infektion mit dem Masernerreger führt nach durchgemachter Erkrankung zu einer
lebenslangen Immunität. Das Risiko für schwere Verläufe sowie Spätfolgen ist
bei diesen Immunisierungsversuchen jedoch sehr viel unberechenbarer als bei der
klassischen Masernimpfung. Doch dazu später mehr.
Geburtsstunde der
modernen Impfung
Im Jahre 1717/18 brachte die Ehefrau eines britischen
Gesandten, Lady Mary Wortley Montague, die chinesische Impfmethode aus
Konstantinopel mit nach England. Zwar starben noch etwa 2-3% der „Geimpften“,
doch war das vergleichsweise wenig in Hinblick auf eine Pockenepidemie, die
regelmäßig etwa 20% Todesopfer forderte. Die Entwicklung eines ersten echten
Impfstoffes ist einem englischen Bauern zu verdanken. Kühe können auch heute
noch an einer leichteren und für Menschen weniger gefährlichen Pockenvariante,
den Kuhpocken, erkranken. Benjamin Jesty, so der Name des Bauern, begann 1774
damit, seine Familie und sich selbst mit Kuhpocken zu infizieren. In der Folge
überlebte die Familie alle Pockenepidemien der damaligen Zeit. Als Edward
Jenner 1798 davon erfuhr, machte er eigene Versuche mit Freiwilligen. Er
infizierte 16 Menschen mit Kuhpocken und wartete die Genesung ab. Kurz darauf
brachte er einen 8-jährigen Jungen, der zuvor mit Kuhpocken „immunisiert“
worden war, mit den Pocken in Kontakt. Obgleich dieser Versuch nach heutiger ethischer
Auffassung so nicht mehr möglich wäre, erkrankte der Junge nicht an den echten
Pocken. Von da an entwickelte Jenner seine Impfung gegen Pocken unter
Ausnutzung der Kuhpocken weiter. 1967 wurde die Pockenimpfung durch die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit zur Pflicht. Und bereits 1980
erklärte die WHO die Pocken für ausgerottet.
Das einzige Reservoir
für Masern ist der Mensch
Ganz ähnlich wie bei den Pocken ist der Mensch der einzige
Wirt für die Masern. Sobald es keinen Menschen mehr gibt, der noch das Virus in
sich trägt oder an den Masern erkrankt ist, wäre die Infektionskrankheit
ebenfalls ausgerottet. Impfgegner argumentieren häufig, dass die massenhafte Impfung
gegen Masern hierzulande die Infektionsspitze auf die Kinder unter 12 Monaten
verlagert hätten. Das ist tatsächlich so, denn Säuglinge können aufgrund ihres
unreifen Immunsystems noch nicht vor dem 12. Monat gegen Masern geimpft werden
und tragen daher statistisch bei uns die Hauptlast der Masernfälle. Doch wir
erinnern uns: Gäbe es keine Infizierten mehr, würde es auch keine weiteren
Ansteckungen mehr geben. Das bedeutet, dass nur eine konsequente Impfung aller die
Masern weltweit für immer stoppen könnte. Natürlich finden sich darunter auch immer
einige Menschen, die nicht geimpft werden können. Sei es aus allergischen
Gründen oder weil ihr Immunsystem eine solche Impfung einfach nicht zulässt. All
diese profitieren in besonderem Maß von einer kollektiven Impfung der anderen
Menschen um sie herum. Der Fachmann nennt das Herdenschutz. Die Impfrate der
20- bis 39-Jährigen jedoch liegt derzeit weiterhin deutlich unterhalb der in
Deutschland angestrebten Impfquote von mindestens 95%. Gleichzeitig laufen Impfgegner
Sturm gegen die derzeit diskutierte Forderung nach einer allgemeinen
Impfpflicht. Doch sind die Gegner sich über ihre Rolle für die Gemeinschaft, in
der sie leben, eigentlich vollauf bewusst, wenn sie ihre persönliche Impfung
ablehnen? Neugeborene, Transplantatempfänger, Menschen mit HIV, einige Allergiker
und jene mit schwachem Immunsystem gehören neben den Impfverweigerern zu den
Leidtragenden. Die vielleicht beste Möglichkeit, die Risiken von natürlich ablaufender
Erkrankung und Schutzimpfung gegeneinander aufzurechnen, ist die
Gegenüberstellung der Zahlen zur Masernerkankung sowie zur Masernimpfung.
Völlig ohne Wertung oder Kommentar sollen die Statistiken hier für sich selbst
sprechen:
Mathematik einer
Infektionskrankheit
a) Die natürliche Maserninfektion ist zwischen 2012 und 2013 von
deutschlandweit 165 Fällen auf 1.771 gemeldete Erkrankungen angestiegen. Als
Schwerpunkte gelten hier seit 2013 Bayern und Berlin, was sich mit dem
derzeitigen Ausbruch in der Hauptstadt wiederum bestätigt. Die Hauptlast der
Infektionen liegt statistisch im Alter von der Geburt bis zum ersten
Lebensjahr. Die Masern sind eine systemisch verlaufende Erkrankung. Das
Masernvirus ist hochansteckend
und führt bereits bei sehr flüchtigem Kontakt zu einer 100%-igen Ansteckung. Von den Infizierten erkranken schließlich 95% an Masern.
Da eine Masernerkrankung das Immunsystem sehr stark schwächt, treten häufig Superinfektionen mit Bakterien und Komplikationen
auf, z. B. Mittelohrentzündung, Bronchitis oder Lungenentzündung. In 0,1% der Fälle entsteht eine
Gehirnentzündung (Enzephalitis), die in 10-20% dieser Fälle tödlich verläuft und in weiteren 20-30% zu Spätschäden führen kann.
Eine besonders gefürchtete Spätfolge, die sogar erst Jahre nach der
Masernerkrankung auftreten kann, ist die SSPE, eine Sonderform der
Enzephalitis. Je jünger das Kind bei der Masernerkrankung war, desto höher ist
dabei sein Risiko, eine SSPE zu entwickeln. Diese Enzephalitis-Form endet in
der Regel tödlich. Die WHO gibt für die Industrieländer eine
allgemeine Sterblichkeit bei Masern
von 0,05 bis 0,1% an.
b) Im Vergleich zur Masernerkrankung gehörten in einer
Studie des Robert-Koch-Instituts von
26.333 verabreichten Dosen Masernimpfstoff nur 64 (= 0,24%) zu den „schlecht
vertragenen Impfungen“. Einige der Impflinge zeigten besonders nach der
ersten Impfung die sogenannten „Impfmasern“
mit mäßigem Fieber, flüchtigem Exanthem und Atemproblemen. Meist treten sie in
der zweiten Woche nach der Impfung auf und sind nicht ansteckend. Zu den Nebenwirkungen der Impfung zählten
in der vorliegenden Studie:
·
Fieber in 31 Fällen (= 0,12%)
·
Impfmasern in 10 Fällen (= 0,04%)
·
Ödembildung oder Hautausschlag in 22 Fällen (= 0,08%)
·
Fieberkrampf in 5 Fällen (= 0,02%)
Nach MedDRA-Kodierung entspricht
dies einem „seltenen Auftreten“ (≥ 0,01% bis < 0,1%).
Quellen:
Poethko-Müller
C et al. Impfnebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des
Kinder- und Jugendgesundheitssurveys. Bundesgesundheitsblatt 2011; 54:357–364; DOI
10.1007/s00103-010-1234-5
Robert
Koch-Institut: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch für 2013, Berlin, 2014
RKI, 2015, Antworten des Robert Koch Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts zu den 20 häufigsten Einwänden gegen das Impfen: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html;jsessionid=394C3869C2E1E7F3BE3DA246F1E93CC1.2_cid298?nn=2378394#doc2378400bodyText3
RKI, 2015, Masern - RKI-Ratgeber für Ärzte: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html#doc2374536bodyText3
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