Debatte um HPV: "Impft auch die Jungen!"

News: Medizin

Für Sie aufgespürt und zusammengefasst von Dr. Marcus Mau.

Zu teuer, nicht effektiv oder zu riskant. Nur einige der Attribute, mit denen in der HPV-Impf-Debatte um sich geworfen wird. Eine aktuelle Studie jedoch zeigt, dass sich eine Impfung von Jungen und Mädchen gleichermaßen lohnt. Das Problem: Die Impfung ist tatsächlich noch zu teuer, um wirklich flächendeckend einen Kosten-Nutzen-Ausgleich zu schaffen. Rein wissenschaftlich betrachtet erfüllt sie aber ihre Aufgabe sicher und sehr effektiv.

„Impft auch die Jungen!“, forderten die Urologen anlässlich ihres nationalen Kongresses im vergangenen September in Hamburg. Doch ist diese Forderung nicht allein eine leere Worthülse oder Kampfansage an die Impfkritiker. Sie basiert auf den Worten eines der führenden Köpfe weltweit in der Erforschung der Papillomaviren. Prof. Harald zur Hausen, Nobelpreisträger für Medizin 2008 und Begründer der HPV-Impfung sagte anlässlich des DGU-Kongresses 2015: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die HPV-Impfung von Jungen von großer Bedeutung ist. Und das nicht nur aufgrund der Tatsache, dass Männer die Hauptüberträger für Hochrisiko-Subtypen sind. Darüber hinaus sind Papillomaviren eben nicht nur, wie früher angenommen, im Cervixbereich gefährlich, sondern lösen ebenso im Rachen oder im Analbereich Tumoren aus. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Papillomaviren, die Genitalwarzen verursachen können. Diese sind für beide Geschlechter sehr unangenehm.“

Die HPV-Impfung wirkt gegen Virusinfektionen, nicht gegen Krebs
Anders als vielfach kommuniziert, wirkt die HPV-Impfung nicht gegen Krebs, sondern verhindert einzig und allein die Ansteckung mit potenziell krebsauslösenden Papillomaviren. Hierbei wirkt sie aber mit mehr als 95 %. Stecken sich beispielsweise Mädchen nicht mehr mit den Hochrisiko-Varianten HPV-16 und HPV-18 an, dann ist die Wahrscheinlichkeit, später im Leben an einem virusbedingten Cervixkarzinom zu erkranken, statistisch gesehen deutlich geringer. Eine Aussicht, die nicht nur die STIKO, sondern auch die Krankenkassen überzeugte, die Impfung für junge Mädchen als Kassenleistung freizugeben. Bei den Jungen ist der Nutzen der Impfung jedoch im Gegensatz dazu noch nicht allgemein anerkannt. Und dass, obwohl es mittlerweise als erwiesen gilt, dass Papillomaviren gleichermaßen an der Ausbildung von Kopf-Hals-Tumoren, Peniskarzinom oder Analkrebs beteiligt sind. Ein Schelm ist, wer jetzt wieder stereotyp denkt und allein die Männer, die mit Männern Sex haben (MSM), als Risikogruppe ansehen mag. Im 21. Jahrhundert haben sich Sexualpraktiken und sexuelle Identitäten längst und nachhaltig verändert. Orale und anale Praktiken haben beispielsweise ihre frühere Tabuisierung überwunden und sind mittlerweile ebenfalls wie selbstverständlich in heterosexuelle Beziehungen eingezogen. Deshalb gilt in Bezug auf die Papillomavirus-Infektionen jeder sexuell aktive Mensch, egal ob männlich oder weiblich, zum Kreis der Risikopersonen. Unverständlich also, weshalb die Impfung für Jungen noch immer nicht allgemein anerkannt ist.

Herdenschutz greift nicht
Mit Einführung der Impfung für die Mädchen sah man das Problem Papillomavirus-Infektionen beinahe als erledigt an. Normalerweise würde ein ausreichend hoher Impfschutz in der Zielgruppe nebenbei auch die Ansteckung von Jungen verhindern, so die Idee hinter diesem Ansatz. Doch die Impfraten bei den Mädchen sind seit Jahren viel zu niedrig und liegen in Deutschland aktuell bei < 40 %. Damit lässt sich kein Herdenschutz erreichen. Hinzu kommt, dass man Jungen, die bi- oder homosexuell und mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern leben, damit ohnehin nicht erreichen würde. Was also tun?
Eine aktuelle Studie aus den Niederlanden kann hier Aufschluss geben (BMJ 2015;350:h2016; doi: 10.1136/bmj.h2016). Die Forscher um Johannes Bogaards untersuchten mithilfe eines statistischen Modells, inwieweit eine direkte Impfung von Jungen gegen HP-Viren zu einer messbaren Veränderung in der Tumorlast bei Männern beitragen könnte. Ihr Ergebnis drückten sie unter anderem als Zahl der notwendigen Impfungen bei Jungen aus, um einen HPV-abhängigen Krebsfall bei Männern zu verhindern. Die Ergebnisse sind durchaus interessant und zeigen deutlich, wie wichtig die HPV-Impfung von Jungen ist. Das besondere an dieser Arbeit war zudem, dass die Folgen einer direkten Impfung bei Jungen immer gegen den Herdenschutz (aktuell und prädiktiv) verglichen wurden. Im Einzelnen sah das wie folgt aus: Werden weiterhin 60 % der Mädchen in den Niederlanden gegen HPV geimpft, so lässt sich damit die Tumorlast bei den Männern um 37 % verringern. Bei 90 % Impfabdeckung könnten bis zu 66 % der aktuell auftretenden HPV-assoziierten Tumoren (oropharyngeale, penile und anale Tumoren) bei Männern verhindert werden. Doch Impfabdeckungen von dieser Größenordnung sind nicht nur in den Niederlanden utopisch. „Männer profitieren von einer ausreichend hohen Impfrate bei den Mädchen, doch bleibt ein Restrisiko für HPV-abhängige Tumorerkrankungen bestehen“, so die Studienautoren in ihrem Resumee. Je weniger Mädchen geimpft werden, desto geringer ist die Schutzwirkung über den sogenannten Herdenschutz und desto mehr profitieren die Jungen von einer direkten Impfung. Bei der derzeitigen in den Niederlanden bestehenden Impfrate von 60 % müssten 795 Jungen geimpft werden, um einen weiteren Krebsfall zu verhindern. Tendiert die Impfabdeckung bei den Mädchen hingegen gegen 0 %, so sind es lediglich 466 Jungen, um einen weiteren HPV-assoziierten Tumor zu verhindern. „Ein klares Signal für eine Impfung der Jungen“, so Bogaards und Kollegen. Die Alternative: Impfraten bei den Mädchen von 90 % und mehr. Doch was ist dann mit den Jungen, die später ausschließlich Sex mit Männern haben?
Kosten der HPV-Impfung
Eine universelle Impfung beider Geschlechter ist das bisher ökonomisch ausgeglichendste Modell zur Kostendeckung der HPV-Impfung. Es bietet den Vorteil, dass die ubiquitäre, geschlechtsneutrale Impfung kostengünstiger ist, als das Screening und die Impfung von Mädchen allein (Audisio RA et al., Critical Revies in Oncology/Hematology 2015; http://dx.doi.org/10.1016/j.critrevonc.2015.07.015). Dennoch bleibt natürlich das Screening von Frauen als Vorsorgemaßnahme beim Cervixkarzinom unabhängig vom Impfstatus weiter zwingend bestehen. Doch auch in der Folge ist eine universelle HPV-Impfung kostengünstig. Zum einen wird die Last durch HPV-assoziierte Tumoren in der Bevölkerung stark reduziert. Zum anderen würden aber auch einige der Hochrisiko-HP-Viren quasi aus der Bevölkerung eliminiert werden. Zusätzlich ist der derzeit verfügbare quadrivalente Impfstoff (HPV-16,-18,-6, -11) dem bivalenten Impfstoff (HPV-16, -18) langfristig überlegen, da er über den eigentlichen Impfschutz hinaus Folgekosten für die oft langwierige Behandlung von Genitalwarzen einsparen hilft. Laut den aktuellen Hochrechnungen würde eine universelle HPV-Impfung von Kindern beider Geschlechter gegen HPV-16 und -18 die Analkrebs-Fälle bei Frauen um 43 %, bei Männern um bis zu 64 % verringern. Genitalwarzen würden bei Frauen zu 58 %, bei Männern zu 71 % weniger häufig auftreten. Ein neues Kapitel in der Debatte um die Kosteneffektivität von HPV-Impfungen könnte auch die kürzlich erfolgte Zulassung des 9-fach-Impfstoffes durch die EMA (European Medicines Agency) öffnen. Dieses Präparat schützt vor der Ansteckung mit neun weit verbreiteten HP-Viren, namentlich HPV-6, -11, -16, -18, -31, -33, -45, -52 sowie -58.
Zum Abschluss: Kommunikation verbessern
Derzeit übernehmen nur 15 von 153 Krankenkassen die HPV-Impfung für Jungen, als einziges Bundesland nahm lediglich Sachsen die Impfung bereits vor Jahren in seine Impfempfehlungen auf. Doch wo liegt das Problem? Auf Seiten der Ärzte? Auf Seiten der Eltern? Auf beiden, wie aktuelle Arbeiten zeigen. „Ich wusste gar nicht, dass man auch Jungen gegen HPV impfen lassen kann“, ist Perez und Kollegen nach (Psycho-Oncology 2015; 24: 1316–1323) eine sehr weitverbreitete Aussage von Eltern. Noch immer wussten mehr als 57 % der befragten Eltern in Kanada nicht, dass auch Jungen von einer HPV-Impfung profitieren können. Diejenigen, die die Impfung generell ablehnten, beriefen sich der Studie zufolge meist auf angebliche Risiken, hohe Kosten oder unzureichende Forschungsergebnisse, die eine Impfung notwendig erscheinen ließen. Daran zeigt sich, wie groß die Bedeutung von gesicherten Informationen aus Forschung und Entwicklung für Eltern ist. Ärzte sollten darauf in Vorgesprächen eingehen und hier für Klarheit sorgen. Doch sehr oft stoßen Pädiater und Allgemeinärzte hier ebenfalls an persönliche Grenzen. Gilkey und Kollegen (Cancer Epidemiol Biomarkers Prev. 2015; 24(11):1673-9) zeigten, dass viele Ärzte sich des Themas nur zögerlich annäherten und damit häufig Unsicherheit auf die Eltern übertrugen. Eigene Abneigungen gegen oder das Unwissen über die HPV-Impfung waren die häufigsten Ursachen, dass die Impfung nicht prioritär oder als mögliche Option zur langfristigen Gesunderhaltung bei Jungen kommuniziert wurde.
Fazit
Die HPV-Impfung ist für beide Geschlechter eine sinnvolle Maßnahme der Krebsprävention. Ärzte sollten sich stets über aktuelle Entwicklungen und Forschungsergebnisse diesbezüglich informieren und eigene Meinungen dazu zurückhalten. Noch immer ist die Information des Arztes für viele Eltern eine wichtige Entscheidungshilfe, die nicht von persönlichen Ansichten, sondern vielmehr von Fakten und Risiko-Nutzen-Abwägungen getragen werden sollte. Dies wäre dann ganz im Sinne der Botschaft von Harald zur Hausen als Pionier der HPV-Impfung: „Impft auch die Jungen!“

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