Blinddarm raus oder nicht?

News: Medizin

Für Sie recherchiert und zusammengefasst von Dr. rer. nat. Marcus Mau.


Im Volksmund heißt er Wurmfortsatz, Blinddarm oder Anhängsel, medizinisch Appendix – Wertschätzung sieht sicher anders aus. Doch sein Ansehen könnte dank neuester Forschungen bald deutlich steigen. Sprechen wir also vielleicht schon bald vom „caecoappendiculären Komplex“?Zumindest wenn es nach Heather F. Smith und ihren Forscherkollegen von der Midwestern University Arizona (USA) geht, könnte der meist durch Entzündungen überhaupt erst ins Bewusstsein tretende Wurmfortsatz am äußersten Ende des menschlichen Caecums zum neuen Shooting-Star aufsteigen.

Ganz so unbedeutend, wie es scheint, ist der Appendix nämlich gar nicht, wie eine Studie quer durch alle Gruppen der Säugetiere (Mammalia) bereits schon jetzt erahnen lässt. So könnte es sich beim Appendix um ein bisher unbekanntes Reservoir für nützliche Darmbakterien handeln.

Evolution: Einmal entstanden, verschwindet der Blinddarm nicht mehr
Insgesamt werteten Smith und ihr internationales Team Daten zum Appendix und zur Darm-Morphologie von 533 Säugetierarten aus. Am Ende ihrer Studie blickten die Wissenschaftler auf einen phylogenetischen Baum, der ihnen zeigte, wie sich der Appendix der Säugetiere evolutionsbiologisch entwickelt hatte.

Interessant ist, dass sich der Appendix offensichtlich bis zu 30 Mal unabhängig voneinander in der Klasse der Säugetiere entwickelt haben muss. Einmal entstanden, verschwindet er darüber hinaus nicht wieder aus der betreffenden Säugerlinie. Dies spricht dafür, dass er durchaus eine wichtige Funktion erfüllen könnte.

Entgegen der bisherigen Lehrmeinung scheint der Appendix kein Indiz für besondere Nahrungsanpassungen oder Umweltbedingungen zu sein. Stattdessen besitzen alle Spezies mit Appendix eine höhere Dichte an lymphatischem Gewebe im Caecum. Der Wurmfortsatz – ein uraltes sekundäres Immunorgan? Oder ist er vielmehr die „Kinderstube“ nützlicher Darmbakterien, welche in ihm mit unserem Immunsystem wechselwirken, um später toleriert zu werden? Smith und Kollegen betrachten den Appendix im Ergebnis ihrer Arbeit eher als funktionelle Einheit mit dem Caecum. Einen wohlklingenderen Namen haben die Wissenschaftler unserem kleinen Wurmfortsatz ebenfalls bereits angedacht: der caecoappendiculäre Komplex.

Kleiner Wurmfortsatz bald ganz groß?
Gerade unter dem Aspekt der modernen Mikrobiom-Forschung sind die Ergebnisse äußerst spannend. Wir stehen gerade erst am Anfang, das Wechsel- oder vielmehr das Zusammenspiel des menschlichen Körpers und seines Darm-Mikrobioms zu verstehen. Gesundheit und Krankheit lassen sich unter anderem auf Ungleichgewichte in der „normalen“ Darmflora zurückführen, wie beispielsweise in der Ätiologie entzündlicher Darmerkrankungen oder des Diabetes mellitus beobachtet wurde.

Spannende Zeiten also für den Appendix. Ist dies nun eine echte Chance für ein möglicherweise lange unterschätztes Organ, seine allgemeinhin eher schlechte Reputation deutlich zu verbessern? Vielleicht fällt der caecoappendiculäre Komplex schon bald nicht mehr so häufig vorschnell dem Skalpell zum Opfer. (Anm. d. Red.: Ausnahme bleibt dabei selbstverständlich die akute Appendizitis, die bei bestehender Gefahr des Darmdurchbruchs noch immer lebensbedrohlich ist!)

Quelle:
Heather F. Smith et al.; Morphological evolution of the mammalian cecum and cecal appendix, Comptes Rendus Palevol, doi: 10.1016/j.crpv.2016.06.00; 2017

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