HIV-Selbsttest: Neu in Deutschland und in der Kritik?
News: Medizin
Für Sie aufgespürt und zusammengefasst von Dr. rer. nat. Marcus Mau.Seit Oktober 2018 dürfen HIV-Schnelltests in Deutschland frei über Apotheken, Drogerien oder auch im Online-Handel verkauft werden. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) schätzte jedoch unlängst ein, dass ein positives Ergebnis in der Selbsttestung bisher nur unzureichend erklärt würde und die Testwilligen somit nicht wüssten, was ein positives Testergebnis wirklich bedeute. Diese Unwissenheit schaffe Ängste, die in der Mehrheit der Fälle unbegründet seien. Denn bei einem positiven Testergebnis, so das RWI, läge die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch mit HIV infiziert ist, statistisch gesehen bei lediglich 8 %. Ist ein Mensch denn nun positiv oder negativ, wenn der Selbsttest es doch sagt ? – eine Spurensuche.
Ausgangspunkt – und damit auch der Fehler in der Argumentation des RWI – ist die der Pressemitteilung zugrundegelegte Überschlagsrechnung. Das Institut geht davon aus, dass in Deutschland derzeit etwa 69 Millionen Menschen älter als 18 Jahre sind. Von diesen sind – soweit korrekt – schätzungsweise circa 11.400 HIV-infiziert, ohne von ihrer Infektion zu wissen.
Aus diesem Zahlenspiel
schlussfolgerte das RWI, dass von je 6.000 Deutschen statistisch gesehen einer HIV-infiziert
ist (69 Millionen dividiert durch 11.400). Dieser testet mit 100 %iger Sicherheit
positiv im Selbsttest. Unter den 5.999 verbleibenden Personen, die nicht
infiziert sind, sollten sich jedoch weitere 12 finden, die ebenfalls positiv
testen. Das schließen die Forscher des RWI aus der Falsch-Positiven-Rate des
Tests von 0,2 %.
Am Ende berechnete das
RWI daraus eine Wahrscheinlichkeit für eine tatsächliche HIV-Infektion: Diese
betrage bei positiv testenden Personen lediglich 8 %! Anders ausgedrückt:
92 % der im HIV-Selbsttest positiv reagierenden Proben sei eigentlich nicht
infiziert. Die vergleichsweise „geringe“ Bedeutung eines positiven
Testergebnissen sei zudem nicht ausreichend erklärt und fördere, dass Menschen
nach einem positiven Selbsttest über Suizid nachdenken und diesen auch begehen
würden – obwohl sie eigentlich gar nicht wirklich infiziert waren –, nur um der
drohenden Stigmatisierung und einer sozialen Diskriminierung zu entgehen, die noch
immer mit AIDS verbunden sei, so das RWI weiter.
Kritik entbehrt wissenschaftlicher Grundlage
„Die Erfahrungen aus
anderen Ländern, wie beispielsweise Frankreich, in denen solche Selbsttests bereits seit Längerem im Einsatz
sind, haben gezeigt, dass sich die Befürchtungen der Forscher des RWI schon heute nicht bewahrheitet haben. Denn Selbsttester werden nach einem positiven
Testergebnis nicht, wie postuliert, in großer Zahl zu Selbstmördern“, stellte Prof.
Dr. med. Norbert H. Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft, klar.
Darüber hinaus zeugt es
von wenig Kenntnis der Thematik und Situation von HIV-Infizierten in
Deutschland, wenn ausgehend von einem HIV-Selbsttest von einer sozialen
Diskriminierung gesprochen wird, die noch immer mit AIDS verbunden sei. Das ist
in der Tat selbst eine Art verbale Stigmatisierung der Betroffenen. Die
HIV-Infektion ist der Zustand nach Ansteckung mit dem HI-Virus. AIDS hingegen
ist das aus einer Nichtbehandlung der HIV-Infektion resultierende
Krankheitsbild der Immunschwäche-Krankheit. Genau um diese Nichtbehandlung und
die Ausbildung von AIDS-Symptomen zu verhindern, braucht es den Test. Denn wenn
Menschen mit einem Infektionsrisiko frühzeitig von ihrer Infektion erfahren und
therapiert werden, kommt es erst gar nicht zu AIDS.
„Die gesamte Darstellung des
RWI krankt zudem daran, dass wir in Deutschland mit dem Selbsttest kein
Screening aller Deutschen durchführen, sondern Menschen zu dem Test ermutigen,
die einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt waren oder Angst haben, sich angesteckt
zu haben. Allein dadurch, dass dem Test eben nicht die deutsche
Gesamtbevölkerung gegenüber gestellt werden kann, erniedrigt sich der Quotient
zwischen positiven und falsch-positiven Testergebnissen im praktischen
Versorgungsalltag drastisch. Viele suchen sogar vorab Beratungsstellen auf, um
sich dort fundiert über den Risikotest zu informieren“, weiß Brockmeyer aus
eigener Erfahrung im Umgang mit seinen PatientInnen zu berichten.
Selbsttests sind ein wichtiges Mittel der Präventionsarbeit
HIV-Selbsttests sind abschließend
betrachtet eine äußerst sinnvolle Errungenschaft in der Präventionsarbeit, um
die HIV-Infektion weiter eindämmen zu können. Zum verantwortungsvollen Umgang
mit ihnen gehört, dass den Menschen
verständlich erklärt wird, was ein positives oder negatives Testergebnis
tatsächlich bedeutet.
Ferner gibt es keine
HIV-Diagnose ohne einen entsprechenden Bestätigungstest mithilfe einer zweiten
Nachweismethode. Daher auch die Empfehlung, sich bei einem positiven Selbsttest
umgehend mit einer Ärztin / einem Arzt des Vertrauens in Verbindung zu setzen. Eine frühe
Diagnose ist zudem aus heutiger Sicht der beste Garant für die erfolgreiche
antiretrovirale Therapie der HIV-Infektion.
Quellen:
www.esanum.de/today/posts/wahrscheinlich-hiv-positiv-oder-eher-doch-nicht
www.rwi-essen.de/media/content/pages/presse/downloads/190108_unstatistik_dezember.pdf
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