HIV im 21. Jahrhundert – (K)ein Problem mehr in Deutschland?
Hintergrund: Medizin
Für Sie aufgespürt und zusammengefasst von Dr. Marcus Mau.
Für Sie aufgespürt und zusammengefasst von Dr. Marcus Mau.
Seit Anfang der 1980er
Jahre die ersten Menschen mit HIV diagnostiziert werden konnten, starben
Millionen Patienten weltweit an der Immunschwächekrankheit. Auch heute noch,
mehr als 30 Jahre später, leben geschätzte 78.000 Menschen in Deutschland mit
der Infektion durch das HI-Virus. Doch ist das Leben mit HIV dank der neuen
Therapien wirklich einfacher geworden?
Die Medikamente haben sich seit den Anfängen sehr stark weiterentwickelt,
sodass viele Menschen mit HIV heute ein beinahe normales Leben führen können.
So normal, wie es nach Außen den Anschein hat, ist der Umgang mit HIV und AIDS
jedoch hierzulande bei Weitem noch nicht. Viele HIV-Patienten leiden unter der
Stigmatisierung und der noch immer nicht abgelegten gesellschaftlichen
Diskriminierung. Psychische Erkrankungen sind die Folge und diese können die
HIV-Therapie ganz erheblich beeinträchtigen.
Auf dem Weg zu einer
Impfung gegen HIV
Es gibt sehr viele verschiedene Ansätze, eine Impfung gegen
HIV zu entwickeln. Auf der HIV Research for Prevention-Konferenz in Kapstadt
2014 ließ die Forschungsarbeit eines Mannes die Fachwelt besonders aufhorchen.
Dr. Louis Picker präsentierte Ergebnisse aus Affenstudien zur Entwicklung einer
möglichen HIV-Impfung auf Basis eines Cytomegalievirus und schürte damit große
Hoffnungen bei Infizierten. „Sofern die noch laufenden Versuche mit den Affen
erfolgreich sind, könnten die Studien am Menschen bereits 2016 beginnen“, so
Dr. Picker weiter.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass es eine Impfung geben
wird“, bewertete Prof. Norbert H. Brockmeyer, Sprecher des Deutschen
Kompetenznetzes HIV/AIDS, in einem Tagesschau-Interview diese Entwicklungen. Dennoch
gaben sowohl Picker als auch Brockmeyer unabhängig voneinander an, dass bis zu
einer funktionierenden Impfung für den Menschen möglicherweise noch viele Jahre
vergehen werden. Die Ansteckung ganz zu verhindern oder zumindest die
frühzeitige Diagnose und Behandlung von Menschen mit HIV seien deshalb nach wie
vor das erklärte oberste Ziel bei der Bekämpfung des HI-Virus.
Medikamente allein
reichen nicht aus
Die heute zur Verfügung stehenden Medikamente zur
HIV-Behandlung sind sehr wirksam und deutlich nebenwirkungsärmer als in der
Vergangenheit. Menschen mit HIV haben deshalb zumindest in den Industrieländern
eine in der Regel hohe Lebensqualität und weitestgehend normale
Lebenserwartung. Sie sind fähig, einer Arbeit nachzugehen und ihren Beruf
auszuüben. Doch geht dieses infolge der Therapie gewonnene Arbeitsvermögen auch
mit einer erhöhten Akzeptanz am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft einher?
Leider ist dem noch immer vielfach nicht so. Stigmatisierung
und versteckte oder gar offene Ausgrenzung von HIV-Positiven sind auch heute
noch überall zu finden – allen Aufklärungskampagnen in den Medien zum Trotz.
Praktiker, wie Prof. Brockmeyer, werden mit diesen Lebenswelten tagtäglich
konfrontiert. Er hat sogar den persönlichen Eindruck, dass die Vorbehalte gegen
die Patienten eher noch zugenommen haben. So wurden zwei seiner Patienten
bereits genötigt, ihren Arbeitsplatz wegen ihrer HIV-Infektion aufzugeben.
Prof. Brockmeyer führt solche Entwicklungen darauf zurück, dass HIV in der
öffentlichen Wahrnehmung eigentlich keine Rolle mehr spielt. „HIV ist doch
vermeidbar – selbst Schuld, wer sich ansteckt“, so eine sehr häufige Aussage.
Mangelnde Erfahrung und Wissenslücken bieten den Nährboden für unbegründete
Ängste im Umgang mit Infizierten und fördern somit deren Ausgrenzung, selbst
durch einige Ärzte und Pflegepersonal, so der Fachmann. Die Betroffenen erleben
diese Ausgrenzung und Stigmatisierung fortlaufend in ihrem Alltag. Häufig kommt
es zu kumulativer Stigmatisierung, da Menschen mit HIV sich aufgrund der
HIV-Infektion oder als Homosexuelle und/oder Drogenabhängige im gesellschaftlichen
wie persönlichen Umfeld isoliert fühlen. Direkte Folgen können sehr belastende
depressive, ängstliche aber auch psychosomatische Störungen sein. Am Ende drohen
noch immer allzuoft Jobverlust, Erwerbsunfähigkeit und letztlich die soziale
Isolation.
Urologische Begleit-
und Folgeerkrankungen bei der HIV-Infektion
Ebenso erhöhen bestehende Koinfektionen mit Hepatitis C oder
Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Tripper & Co. den Leidensdruck von
Menschen mit HIV. Die Infektion bzw. die mit ihr einhergehende Immunschwäche
führt zudem nicht selten zu urologischen Krankheitsbildern, wie z.B.:
- Erektile Dysfunktion,
- Feigwarzen,
- HIV-assoziierte Nierenschwäche,
- Hoden-/Nebenhodenentzündung,
- Hypogonadismus,
- Kaposi-Sarkom und Hodentumoren,
- Miktionsstörungen,
- Niereninsuffizienz,
- Peniskarzinom,
- Prostata-Entzündung,
- Prostatakrebs,
- Steinbildungen und
- Unfruchtbarkeit.
Stigmatisierung und sichtbare krankhafte Veränderungen des
Körpers erhöhen zusätzlich das Risiko für Depressionen.
Antivirale Medikamente
und Komplementärverfahren – auf Wechselwirkungen achten!
Patienten mit leichter Depression kann in der Regel bereits
mit Psychotherapie geholfen werden. Listen geeigneter Therapeuten bekommen sie
unter anderem bei den örtlichen HIV-Beratungsstellen oder beim Arzt. Betroffene
mit schweren Depressionen erhalten zusätzlich Antidepressiva. Patienten, die
sowohl antiviral als auch antidepressiv behandelt werden, laufen jedoch Gefahr,
dass sich die Medikamente gegenseitig beeinflussen. Eine antidepressive
Medikation sollte deshalb immer in Absprache mit einem Facharzt erfolgen.
Menschen nach einer schockierenden Diagnose wie einer
HIV-Infektion neigen durchaus verstärkt dazu, ihr Leben neu zu überdenken und
sind offener gegenüber alternativen Behandlungsstrategien. Selbstmedikationen sind
eine direkte Folge dessen. Werden naturheilkundliche Präparate ohne Absprache
mit dem Arzt eingenommen, kann dies jedoch im schlimmsten Fall dazu führen,
dass die antiviralen Medikamente unwirksam werden. Beispielsweise ist
Johanneskraut durchaus zur Behandlung von Depressionen und Unruhezuständen beim
Menschen zugelassen. Bei HIV-Infizierten mit antiretroviraler Medikation aber
senkt das Präparat den Plasmaspiegel einiger antiviraler Medikamente deutlich
ab und mindert so deren hemmende Wirkung auf das Virus.
Fazit:
Auch heute noch, nach mehr als 30 Jahren des medizinischen
Fortschritts, ist eines der Hauptprobleme für Menschen mit HIV ihre
Stigmatisierung und Diskriminierung im Alltag – und das trotz der langjährigen
Aufklärungskampagnen in den Medien. Die neue Generation der HIV-Medikamente
sorgt dafür, dass die Betroffenen das Virus unter die Nachweisgrenze
zurückdrängen und in der Folge fast normale Lebensspannen erreichen können. Die
Vorurteile und Ängste im Kopf ihrer Mitmenschen lassen sich trotz dessen leider
nicht so leicht abbauen.
Quellen:
Eckart Aretz. 01.12.2014. Aids in
Deutschland „nicht heilbar – nur kontrollierbar“. Interview mit Prof. Norbert
H. Brockmeyer auf tagesschau.de.
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Database of Systematic Reviews 2013;2: Art. CD004536
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J. 2014. MMW-Fortschr Med; 156(Suppl. 1):20
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